Geländer und Brüstungen – SIA-Norm 358
Die Schweizerische Metall-Union SMU hat ein Abmahnungsformular für Geländer und Brüstungen erstellt. Es stellt eine Antwort auf Mängel in der SIA-Norm 358 dar. Ziel dieses Formulars ist, dass die Auftraggeber normengerechte Geländer bestellen. Im anderen Fall soll es dazu dienen, die Haftung des Metallbauers in Schadenfällen auszuschliessen.
Metallbauer und Bauherren wollen schöne Geländer
Metallbauer wollen zusammen mit ihren Kunden qualitativ hochwertige, allen Ansprüchen genügende Geländer und Brüstungen erstellen. Ästhetische Ansprüche wie horizontale Stäbe oder luftige Konstruktionen mit Drahtseilen geben dem Gebäude den letzten optischen Schliff. Metallbauer wollen die Wünsche ihrer Kunden erfüllen, ohne den Aspekt der Sicherheit ausser Acht zu lassen. Mit konstruktiven Gesprächen zwischen Bauherr, Architekt und Unternehmer lassen sich die Wünsche der Kunden und die Anforderungen der entsprechenden Baunorm SIA 358 erfüllen. Neben dem neuen Abmahnungsformular der SMU sind hier die Unterlagen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zur Gestaltung von sicheren Geländern wertvolle Diskussionsgrundlagen.
Was steht in der SIA-Norm 358?
Die SIA-Norm 358, als Planungsnorm erlassen, definiert:
– Gefahrenbilder und die entsprechenden Geländer
– Den Einsatzbereich von Geländern
– Geometrische Anforderungen an Geländer
3×1 für ein normengerechtes Geländer
Für die Planung von Geländern unter Berücksichtigung der SIA-Norm 358 gilt die «1» für die wichtigsten Aspekte der Norm:
– Gefahrenbild Nr. 1 = Unbeaufsichtigte Kinder
– Absturzhöhe 1 Meter = Es braucht ein Geländer
– Normale Brüstungshöhe: 1 Meter bei Horizontalgeländern
Die SIA-Norm 358 ist, wie jede Norm, kein Gesetz. Sie erhält jedoch dann Gesetzescharakter, wenn sie in den Bauvorschriften der örtlichen Behörde erwähnt ist oder als anerkannte Regel der Baukunst im Prozessfall beigezogen wird. Architekten und Bauherren wurden aufgrund dieser Norm schon wegen fahrlässiger Tötung verurteilt
Keine Regel ohne Ausnahme
Leider definiert die SIA-Norm 358 auch Ausnahmen. Eine davon lautet: «Ausnahmen von den Bestimmungen der vorliegenden Norm sind in folgenden Fällen zulässig:
1. Bei Wohnbauten, die der Eigentümer selbst nutzt
2. Bei Veränderungen in bestehenden Bauten, in denen die vorhandenen Schutzelemente die Sicherheit gewährleisten und durch die Veränderungen keine neue Gefährdung entsteht
3. Wo das Schutzziel nachweislich durch andere Massnahmen erreicht wird.»
Die Ausnahmen 2 und 3 stellen kein Problem dar. Anders sieht es bei Ausnahme 1 aus. Die Kommission, welche für die Erarbeitung der SIA-Norm zuständig war, ging fälschlicherweise davon aus, dass mit Einverständnis des Bauherren automatisch sämtliche Haftungsansprüche gemäss Artikel 58 OR an den Werkseigentümer (Bauherr) übergehen. Dem ist nicht so!
Artikel 58 OR:
Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den dieser infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursacht. Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
Haftung haftet – an allen Beteiligten
Angenommenes Beispiel: Beat Breu, der Ostschweizer Velo-Bergfloh, bestellt ein Geländer. Da er selber baut, wünscht er eine seiner Körpergrösse entsprechende Geländerhöhe: Handlauf auf 60 cm. Dabei beruft er sich auf obigen Ausnahmeartikel. Dank seinen guten Beziehungen zur örtlichen Behörde wird das Geländer bewilligt. Beat Breu ist prominent, er hat berühmte Bekannte, die er oft und gerne einlädt. So beispielsweise Arnold Schwarzenegger, welcher bekanntlich über andere Körpermasse als Beat Breu verfügt. Nach einem langen, gemütlichen Abend will Arnold Schwarzenegger sich müde am Geländer halten, greift ins Leere und stürzt vom Obergeschoss ins Erdgeschoss.
Trotz Bewilligung der Behörde, trotz Ausnahmeartikel der SIA 358, trotz unterzeichnetem Abmahnungsformular der SMU – der Staranwalt von Arnold Schwarzenegger kann jeden im Geländerbau Beteiligten erfolgreich verklagen. Denn es besteht nur ein Haftungsausschluss zwischen Beat Breu und dem Metallbauer, nicht aber zwischen dem Metallbauer und allen Bekannten und Verwandten von Beat Breu.
Auch mit der Norm lassen sich schöne Geländer gestalten
Horizontalgeländer sind sowohl bei Architekten als auch bei Bauherren sehr beliebt. Sie liegen im Trend. Die Norm 358 hält aber klar fest:
Das Beklettern der Schutzelemente ist durch geeignete Massnahmen zu verhindern bzw. zu erschweren.
Damit ist der so genannte Leitereffekt angesprochen. Bei Vertikaltraversen, welche nicht zwingend als hässlich betrachtet werden müssen, ist dieses Problem nicht vorhanden. Es gibt jedoch kein Verbot von Horziontaltraversen oder Drahtseilen. Es ist jedoch zu empfehlen, bei diesen Geländern den Handlauf um 15 cm nach innen zu versetzen.
Die Missachtung von SIA 358 kann schwerwiegende Folgen haben – zwei Beispiele
Fall 1:
Vor einigen Jahren verunfallte ein Korporal der Schweizer Armee tödlich, als er sich aus einem Fenster der Kaserne Thun beugte und mehr als 11 Meter in die Tiefe stürzte. Das Gericht verurteilte den Architekten und den Bauprojektleiter. Ihnen wurde fahrlässige Tötung und Gefährdung durch Nichtbeachten der Regeln der Baukunde zur Last gelegt. Das Gericht berief sich dabei ausdrücklich auf die SIA-Norm 358, deren Vorschriften nicht eingehalten worden waren.
Fall 2:
Ein knapp zweijähriges Kind stürzte vom Balkon der im dritten Stock gelegenen Wohnung und wurde dabei getötet. Es war durch die Öffnung zwischen der Balkonmauer und der darüberliegenden Eisenstange geschlüpft. Obwohl die örtlichen Bauorgane den Bau genehmigt hatten – sie änderten nach der Urteilssprechung ihre Praxis – wurde der beklagte Architekt vom Bundesgericht verurteilt. Begründung: Nichteinhaltung der SIA-Norm 358.
Quelle: hev-zuerich.ch